Der Edelmann und der Bauer
Märchen aus Weißrussland
Der Bauer fragte einmal den Herrn: »Warum ist es eigentlich so, dass der Edelmann Herr ist und der Bauer Knecht?« – »Das kommt daher, weil jeder Edelmann ein Fuder Ruten gefressen hat. Auch mich hat man gelehrt und dabei geprügelt«, antwortete ihm der Herr. Da wollte der Bauer auch ein Herr werden. Er fuhr in den Wald, hieb sich ein ganzes Fuder Ruten zusammen, band sie in kleine Bündel und befahl seiner Frau, sie solle ihn prügeln. »Bist du toll geworden? Was ist dir geschehen? Wofür soll ich dich schlagen?« fragte das Weib. »Prügle mich nur; und tust du's nicht, so schlag ich an dir das ganze Fuder Ruten klein! Ich will ein Herr werden.« Da fing die Frau an, sich herumzuzanken, der Mann aber packte sie bei den Zöpfen und zählte ihr so derb auf, dass sie nun aus Wut ihn zu prügeln begann. Doch soviel sie auch auf ihn einschlug, aus dem Bauern ward doch kein Herr. Nur musste der Arme den ganzen Frühling über im Bett liegen, bis ihm die Wunden verheilt waren.
Im Dorfe sprach sich's herum, und der Bauer wurde bös verhöhnt: »Schaut den alten Lumpen an, Herr wollt er werden! Mag er sich nun ausflicken!« Der Bauer konnte sich nirgends blicken lassen, überall lachten sie ihn aus. Da sagte er schließlich zu seinem Nachbarn: »Na, so will ich euch zum Tort erst recht ein Herr werden!« Eine Brotkruste steckte er sich in den Ranzen und wanderte in die weite Welt hinaus, sein Herrentum zu suchen. So ging er und ging immerzu und kam in einen tiefen, tiefen Wald und geriet in solches Dunkel, dass er sich nicht mehr hinausfinden konnte. Da verirrte sich unser Bauer in dem Walde. Sein Brot aber war schon aufgegessen, und er hatte nichts mehr, um seinen Hunger zu stillen; halb verhungert war er und ganz erschöpft. Doch auf einmal spürte er den Geruch von Äpfeln. Er schaute sich um und erblickte einen Apfelbaum mit sehr schönen und duftenden Äpfeln. Er riss sich welche ab und fing an zu essen. Einen Apfel aß er, dann den Zweiten, fein schmeckte es ihm! Und wie er beim Dritten war, da merkte er, dass sich seine Mütze über dem Kopf in die Höhe hob. Er griff mit der Hand hin – drei Hörner waren ihm gewachsen! Der Bauer erschrak und machte sich schnell fort von dem Apfelbaum. Aber mit den Hörnern wurde es ihm noch schwerer, sich durch das Dunkel durchzufinden. Mit seinen Kräften war es aus, er fiel zu Boden, und obwohl ihm der Kopf schmerzte, schlief er doch bald ein. Am nächsten Tage erwachte er und sah über sich einen zweiten Apfelbaum. »Ich will auch von diesen Äpfeln versuchen, mag werden, was da will!« dachte der Bauer. Er aß einen Apfel – ein Horn fiel ab, er aß einen Zweiten – das zweite Horn fiel ab, er aß einen Dritten – da fiel auch das dritte Horn ab. Im Ranzen hatte er noch von den andern Äpfeln, die steckte er nun in die Tasche, mit den Guten aber füllte er seinen Ranzen. Lange irrte er noch umher, doch endlich fand er hinaus ins Freie.
So kam unser Bauer in ein anderes Königreich. Es war aber gerade ein Feiertag, und da ging er vor die Kirche und bat um Almosen. In der Kirche aber war die Königstochter. Sie merkte, dass er stark nach Äpfeln roch, und schickte ihre Dienerinnen hin, sie zu kaufen; doch wie viel Äpfel sie auch brachten, es waren nicht die Richtigen. Die Königstochter ward zornig, ging zur Kirche hinaus und ließ ihre Kutsche vorfahren. Als sie aber beim Bettler vorbeifuhr, roch es noch stärker nach Äpfeln. Die Königstochter fragte, wem diese duftenden Äpfel gehörten? Da brachte unser Bauer sie ihr heran, und sie gab ihm ein Goldstück dafür. Und während die Königstochter in der Kutsche fuhr, aß sie von den Äpfeln. Doch soviel Äpfel sie aß, soviel Hörner wuchsen ihr auf dem Kopf, und als sie zu Hause ankam, konnte sie fast nicht mehr aus der Kutsche steigen. Die Doktoren wurden herbeigerufen und meinten, man müsse die Hörner abfeilen. Das versuchte man auch, aber die Königstochter schrie Gewalt! Nun war guter Rat teuer. Der König ließ bekannt machen: Wer die Königstochter zu heilen vermöchte, solle Senator werden. Da meldete sich der Bauer. Die Doktoren sahen ihn schief an, doch der König befahl ihnen hinauszugehen.
Der Bauer ließ ein Bad bereiten und setzte die Königstochter hinein; als ihr aber die Sache langweilig wurde, gab er ihr Äpfel zu essen. Sie aß einen Apfel – und ein Horn fiel ab; und so verschwand ein Horn nach dem andern. Als die Doktoren das sahen, wollten sie fortlaufen, aber sie wurden gefangen und auf Befehl des Königs gehängt. Den Bauern jedoch machte der König zum Senator und wollte ihm auch seine Tochter zur Frau geben, der Bauer sagte aber, dass er schon ein Weib habe. So lebte der Bauer eine Zeit lang in jenem Königreich; dann machte er sich frei und reiste heim, um seine Frau zu sich zu holen. Natürlich erkannte ihn niemand zu Hause. Aber das ganze Dorf versammelte sich, um den Herrn zu sehen, der ein Fuder Ruten gefressen hatte. Dann nahm er sein Weib mit und fuhr zurück in sein Königreich und lebt jetzt noch dort als Herr.
Nicht bloß zum Spaß heißt es ja: Für einen Geprügelten gibt man zwei Ungeprügelte und bringt selbst die nicht an.
Märchen aus Weißrussland
Der Bauer fragte einmal den Herrn: »Warum ist es eigentlich so, dass der Edelmann Herr ist und der Bauer Knecht?« – »Das kommt daher, weil jeder Edelmann ein Fuder Ruten gefressen hat. Auch mich hat man gelehrt und dabei geprügelt«, antwortete ihm der Herr. Da wollte der Bauer auch ein Herr werden. Er fuhr in den Wald, hieb sich ein ganzes Fuder Ruten zusammen, band sie in kleine Bündel und befahl seiner Frau, sie solle ihn prügeln. »Bist du toll geworden? Was ist dir geschehen? Wofür soll ich dich schlagen?« fragte das Weib. »Prügle mich nur; und tust du's nicht, so schlag ich an dir das ganze Fuder Ruten klein! Ich will ein Herr werden.« Da fing die Frau an, sich herumzuzanken, der Mann aber packte sie bei den Zöpfen und zählte ihr so derb auf, dass sie nun aus Wut ihn zu prügeln begann. Doch soviel sie auch auf ihn einschlug, aus dem Bauern ward doch kein Herr. Nur musste der Arme den ganzen Frühling über im Bett liegen, bis ihm die Wunden verheilt waren.
Im Dorfe sprach sich's herum, und der Bauer wurde bös verhöhnt: »Schaut den alten Lumpen an, Herr wollt er werden! Mag er sich nun ausflicken!« Der Bauer konnte sich nirgends blicken lassen, überall lachten sie ihn aus. Da sagte er schließlich zu seinem Nachbarn: »Na, so will ich euch zum Tort erst recht ein Herr werden!« Eine Brotkruste steckte er sich in den Ranzen und wanderte in die weite Welt hinaus, sein Herrentum zu suchen. So ging er und ging immerzu und kam in einen tiefen, tiefen Wald und geriet in solches Dunkel, dass er sich nicht mehr hinausfinden konnte. Da verirrte sich unser Bauer in dem Walde. Sein Brot aber war schon aufgegessen, und er hatte nichts mehr, um seinen Hunger zu stillen; halb verhungert war er und ganz erschöpft. Doch auf einmal spürte er den Geruch von Äpfeln. Er schaute sich um und erblickte einen Apfelbaum mit sehr schönen und duftenden Äpfeln. Er riss sich welche ab und fing an zu essen. Einen Apfel aß er, dann den Zweiten, fein schmeckte es ihm! Und wie er beim Dritten war, da merkte er, dass sich seine Mütze über dem Kopf in die Höhe hob. Er griff mit der Hand hin – drei Hörner waren ihm gewachsen! Der Bauer erschrak und machte sich schnell fort von dem Apfelbaum. Aber mit den Hörnern wurde es ihm noch schwerer, sich durch das Dunkel durchzufinden. Mit seinen Kräften war es aus, er fiel zu Boden, und obwohl ihm der Kopf schmerzte, schlief er doch bald ein. Am nächsten Tage erwachte er und sah über sich einen zweiten Apfelbaum. »Ich will auch von diesen Äpfeln versuchen, mag werden, was da will!« dachte der Bauer. Er aß einen Apfel – ein Horn fiel ab, er aß einen Zweiten – das zweite Horn fiel ab, er aß einen Dritten – da fiel auch das dritte Horn ab. Im Ranzen hatte er noch von den andern Äpfeln, die steckte er nun in die Tasche, mit den Guten aber füllte er seinen Ranzen. Lange irrte er noch umher, doch endlich fand er hinaus ins Freie.
So kam unser Bauer in ein anderes Königreich. Es war aber gerade ein Feiertag, und da ging er vor die Kirche und bat um Almosen. In der Kirche aber war die Königstochter. Sie merkte, dass er stark nach Äpfeln roch, und schickte ihre Dienerinnen hin, sie zu kaufen; doch wie viel Äpfel sie auch brachten, es waren nicht die Richtigen. Die Königstochter ward zornig, ging zur Kirche hinaus und ließ ihre Kutsche vorfahren. Als sie aber beim Bettler vorbeifuhr, roch es noch stärker nach Äpfeln. Die Königstochter fragte, wem diese duftenden Äpfel gehörten? Da brachte unser Bauer sie ihr heran, und sie gab ihm ein Goldstück dafür. Und während die Königstochter in der Kutsche fuhr, aß sie von den Äpfeln. Doch soviel Äpfel sie aß, soviel Hörner wuchsen ihr auf dem Kopf, und als sie zu Hause ankam, konnte sie fast nicht mehr aus der Kutsche steigen. Die Doktoren wurden herbeigerufen und meinten, man müsse die Hörner abfeilen. Das versuchte man auch, aber die Königstochter schrie Gewalt! Nun war guter Rat teuer. Der König ließ bekannt machen: Wer die Königstochter zu heilen vermöchte, solle Senator werden. Da meldete sich der Bauer. Die Doktoren sahen ihn schief an, doch der König befahl ihnen hinauszugehen.
Der Bauer ließ ein Bad bereiten und setzte die Königstochter hinein; als ihr aber die Sache langweilig wurde, gab er ihr Äpfel zu essen. Sie aß einen Apfel – und ein Horn fiel ab; und so verschwand ein Horn nach dem andern. Als die Doktoren das sahen, wollten sie fortlaufen, aber sie wurden gefangen und auf Befehl des Königs gehängt. Den Bauern jedoch machte der König zum Senator und wollte ihm auch seine Tochter zur Frau geben, der Bauer sagte aber, dass er schon ein Weib habe. So lebte der Bauer eine Zeit lang in jenem Königreich; dann machte er sich frei und reiste heim, um seine Frau zu sich zu holen. Natürlich erkannte ihn niemand zu Hause. Aber das ganze Dorf versammelte sich, um den Herrn zu sehen, der ein Fuder Ruten gefressen hatte. Dann nahm er sein Weib mit und fuhr zurück in sein Königreich und lebt jetzt noch dort als Herr.
Nicht bloß zum Spaß heißt es ja: Für einen Geprügelten gibt man zwei Ungeprügelte und bringt selbst die nicht an.
Dieses Märchen ist den Webseiten der Gemeinschaftspraxis für Anästhesie und Schmerztherapie entnommen. Vorwort dazu:
Sie werden sich vielleicht wundern, auf der Homepage einer ärztlichen Praxis eine Seite mit Märchen zu finden. Natürlich wird in Märchen nichts über die medizinische Behandlung von Krankheiten und erst Recht nichts über die Behandlung chronischer Schmerzen gesagt.
Für die Liste der Märchen, bitte hier klicken!
Aber da Märchen ja keine Geschichten für Kinder sind, wie uns häufig in unserer Kindheit erzählt wurde, sondern das Wissen, die Lebenserfahrung, ja die Weisheit vieler Generationen in der Form von Geschichten übermitteln, kommt in ihnen natürlich immer wieder das "Kranksein" und "Gesund-werden" vor. Oftmals geht es gar nicht so sehr um medizinisch diagnostizierbare Krankheiten sondern der oder die Kranke ist meist "der Hilfe bedürftig", d.h. unsere Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit wird in dem Märchen erzählt. Und natürlich gibt es ein großes überliefertes Wissen darüber, wie diesen "der Hilfe bedürftigen" zu helfen ist, wie "Heilung" geschehen kann. Davon handeln diese Märchen.
Und so vielfältig die Leiden und Krankheiten der Menschen sind, so unterschiedlich und mannigfaltig sind Mittel, die ihre Gesundheit wieder herstellen.
Dieses Wissen vom Heilen, so finden wir, kann unsere ärztlichen Bemühungen um die Behandlung der Krankheiten durchaus an manchen Punkten ergänzen und bereichern. Deshalb möchten wir Ihnen hier jeden Monat ein anderes Märchen vom Heilen vorstellen und wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre.
Für die Liste der Märchen, bitte hier klicken!
Aber da Märchen ja keine Geschichten für Kinder sind, wie uns häufig in unserer Kindheit erzählt wurde, sondern das Wissen, die Lebenserfahrung, ja die Weisheit vieler Generationen in der Form von Geschichten übermitteln, kommt in ihnen natürlich immer wieder das "Kranksein" und "Gesund-werden" vor. Oftmals geht es gar nicht so sehr um medizinisch diagnostizierbare Krankheiten sondern der oder die Kranke ist meist "der Hilfe bedürftig", d.h. unsere Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit wird in dem Märchen erzählt. Und natürlich gibt es ein großes überliefertes Wissen darüber, wie diesen "der Hilfe bedürftigen" zu helfen ist, wie "Heilung" geschehen kann. Davon handeln diese Märchen.
Und so vielfältig die Leiden und Krankheiten der Menschen sind, so unterschiedlich und mannigfaltig sind Mittel, die ihre Gesundheit wieder herstellen.
Dieses Wissen vom Heilen, so finden wir, kann unsere ärztlichen Bemühungen um die Behandlung der Krankheiten durchaus an manchen Punkten ergänzen und bereichern. Deshalb möchten wir Ihnen hier jeden Monat ein anderes Märchen vom Heilen vorstellen und wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen