Dienstag, 10. November 2009

Hechtsommer

Jutta Richter
Hechtsommer
Ab 9 Jahre, Illustriert von Quint Buchholz, dtv Reihe Hanser, 128 S., ISBN 978-3-423-62281-3, Euro 6,95 [D], 7,20 [A], sFr 12,40
Wenn der Hecht gefangen ist, wird Mutter wieder gesund, denken Daniel und Lukas. Anna glaubt das nicht, aber Lukas und Daniel sind ihre Freunde.
Die Geschichte eines großen Verlustes, zärtlich und eindringlich erzählt, von Hoffen und Traurigsein, Freundschaft und Geschwisterliebe, die auch da noch trösten, wo Trost das Schwerste ist.
Leseprobe (Auszug): " ... Es war so ein Sommer, der nicht aufhört. Und dass es unser letzter werden würde, hätte damals keiner geglaubt. Wir konnten es einfach nicht glauben. So wie wir uns auch nicht vorstellen konnten, dass es je wieder einen Winter geben würde, einen Winter, bitterkalt mit richtigem Schnee und einer dicken Eisschicht auf dem Wassergraben.
Es war so ein Sommer, der nicht aufhört. Er hatte im Mai angefangen. Die Sonne schien jeden Tag. Die Pfingstrosen setzten Knospen an, die Blütenkerzen der Kastanienbäume explodierten über Nacht. Gelb leuchtete das Rapsfeld und hoch über uns zerschnitten die Mauersegler den unendlich tiefen Himmel.
Nur das Wasser hatte noch seine Winterfarbe: schwarz und undurchsichtig, aber wenn wir uns lange genug über das steinerne Brückengeländer beugten, konnten wir doch die kleinen Rotfederfische erkennen, die sich knapp unter dem Wasserspiegel sonnten.
»Wasseraugen«, sagte ich. »Vom langen Hingucken kriegt man Wasseraugen.«
»Stimmt«, sagte Daniel.
»Und dann kann man durchgucken und den Grund sehen und da steht der Hecht!«
Lukas war ganz aufgeregt und seine Stimme wurde hoch und laut.
»Na klar! Und wenn wir den Hecht sehen können, brauchen wir nur noch eine Angelschnur und Hechthaken.«
»Spinner«, sagte Daniel. »Senke brauchste auch und Kescher!«
»Warum denn?«
»Die Senke für den Köderfisch und den Kescher zum Rausholen. Der Hecht reißt dir die Schnur durch, wenn du den hochziehen willst.«
»Und wofür der Köderfisch?«, fragte Lukas.
»Zum Locken«, sagte Daniel und spuckte ins Wasser.
Neugierig schwammen die kleinen Rotfedern näher. Dann spritzten sie plötzlich auseinander und waren verschwunden.
»Da ist er!«, rief Lukas.
Und wirklich, eine Zehntelsekunde lang hatte auch ich, dicht unter der Wasseroberfläche, den silbrigen Fischbauch erkannt, bevor der Hecht wieder hinunterschoss in die schwarze, undurchsichtige Tiefe.
Über uns flatterte krächzend ein Dohlenschwarm und zwei Blesshühner trieben mit ruckenden Kopfbewegungen unter der Brücke durch. Die Sonne machte den Rücken ganz warm und als das Wasser wieder glatt und ruhig war, sagte Daniel:
»Den kriegen wir! Wer Wasseraugen hat, der kann auch Hechte fangen!« ... " Zur Leseprobe

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